4.2 Individuelles versus strukturelles Wissen
4.2.1 Definitionen
Wissensmanagement beschäftigt sich mit den Möglichkeiten, auf die Wissensbasiseines UnternehmensEinfluss zu nehmen. Unter der Wissensbasis eines Unternehmens werden alle Datenund Informationen, alles Wissenund alle Fähigkeitenverstanden, die diese Organisationzur Lösungihrer vielfältigen Aufgabenbenötigt. Dabei sollen individuelles Wissen und Fähigkeiten (Humankapital) systematisch auf unterschiedlichen Ebenen der Organisationsstruktur verankert werden. Wissensmanagement kann daher als intervenierendes Handeln verstanden werden, das auf den Theorien der Organisationslehreund des organisationalen Lernensberuht und diese systematisch in die Praxis überführen will.
Das Wissen innerhalb eines Unternehmens wird dabei als Produktionsfaktorverstanden, der neben Kapital, Arbeitund Bodentritt. Die strategische Grundlage für das Wissensmanagement bietet vor allem der Knowledge-based View of the Firm. Dieser stellt eine Erweiterung der Auffassung dar, Information(z.B. im Rahmen der Marktgestaltung und -beeinflussung) als betriebliche Ressource bzw. als Produktionsfaktor zu sehen.
Einen Beitrag dazu könnenInformationssystemeleisten, indem sie die Mitarbeiterkommunikativ vernetzenund Informationenbereitstellen und bewahren.
Kritisiert wird am Ansatz des Wissensmanagements von wissenschaftlicher Seite vor allem ein undifferenzierter Wissensbegriff, der oft nicht hinreichend von den Begriffen "Datum" und "Information" abgegrenzt wird. Ferner wird ein sachlich unangemessenes oder gar paradoxes Verständnis des Produktionsfaktorenkonzepts beanstandet, wie es sich v.a. in der Rede von der "immateriellen Ressource Wissen" niederschlägt, sowie eine einseitige Orientierung an bestimmten älteren, von der modernen Managementlehreteilweise bereits revidierten mechanistischen Steuerungs- und Machbarkeitsvorstellungen. Ungeklärt ist zudem die rechtliche Frage, inwieweit und unter welchen Bedingungen Organisationen (einschließlich Wirtschaftsunternehmen) überhaupt einen Verwertungsanspruch auf die individuellen Wissensbestände ihrer Mitglieder (Mitarbeiter) geltend machen können. Solche Wissensbestände sind ja zunächst einmal als (oft kostspielig erworbenes) geistiges Privateigentumihrer Träger zu betrachten. Diesem Sachverhalt wird in freiheitlich- demokratischen Gesellschaften i.d.R. dadurch Rechnung getragen, dass zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern Arbeitsverträge geschlossen werden, die den Arbeitgebern gegen Entgeltzahlung zwar das Recht auf Verwertung der Arbeitskraft, nicht aber zugleich des Wissens ihrer Mitarbeiter zumessen. An solchen Problemen tritt nach Ansicht mancher Autoren eine ideologischeVoreingenommenheit (bias) des Wissensmanagement-Ansatzes zutage, der immer wieder dazu tendiert, eine theoretischeBetrachtungsperspektive mit einerpraktischenHandlungs- bzw. Gestaltungsperspektive zu vermischen; letzteres ein Vorwurf, der neuerdings gegen zahlreiche "Moden und Mythen des Managements" (Alfred Kieser) erhoben worden ist.
Ungeachtet aller Einwände wurden in den letzten Jahren die Vorstände vieler Unternehmen um die Position des Chief Information Officers(CIO) mit dem Arbeitsschwerpunkt Informationsmanagementerweitert, dem die Aufgabe obliegt, die Informationsverarbeitungeines Unternehmens auf dessen Gesamtstrategie abzustimmen. Die Zielsetzungen praktischen Wissensmanagements gehen dabei deutlich über die reine Versorgung der Mitarbeiter mit Informationen hinaus:
  • Mitarbeiter sollen lernend Qualifikationen und Fähigkeiten entwickeln und wertschöpfend einsetzen können.
  • Bei der Klassifizierung von Wissen gibt es grundsätzlich zwei Ausprägungspole: einerseits sog. kodifizierbares Wissen(Explizites Wissen), das beschrieben werden kann und folglich geeignet ist, in Dokumenten vorgehalten zu werden und andererseits sog. Implizites Wissen, das nicht in expliziter = kodifizierbarer Form als Information kommuniziert werden kann.

Diesen beiden Extremausprägungen entsprechen den beiden fundamentalen Strategien des Wissensmanagements, die im Englischen bezeichnet werden mit "People-to-Document" (Kodifizierung) bzw. "People-to-People" (Implizites oder Stilles Wissen, engl. tacit knowledge). Zur Weitergabe von implizitem Wissen sind also andere Ansätze und Methoden erforderlich als im Bereich "(bring) people- to-document(s)"; im letztgenannten Anwendungsbereich stehen vor allem Datenbank- und Dokumentenmanagement-technische Lösungsszenarien zur Verfügung.
Die Unterscheidung in explizites vs. implizites Wissen - und die daraus abzuleitenden grundsätzlichen Schwerpunkte der Wissensmanagement-Strategie - haben vor allem in betriebswirtschaftlichen Anwendungsbereichen (Unternehmen) eine große Bedeutung, da gerade hier die betriebswirtschaftlichen Einschränkungen voll zum Tragen kommen: echtes Expertenwissen z.B. tendiert sehr stark dazu, äußerste Komplexität mit eher geringer Gültigkeitsdauer zu kombinieren - und: je mehr etwas Expertenwissen ist, desto stärker sind diese beiden Kombinationsfaktoren (Komplexität und Dauer) ausgeprägt! Es ist dann aber im betriebswirtschaftlichen Kontext weder sinnvoll noch möglich, dieses implizite Wissen einer Kodifizierung (Dokumentation) zuzuführen, zumal auch auf der Rezipientenseite kaum jemand die Zeit hätte, diese sicherlich sehr umfangreiche Dokumentation zu lesen.
D.h. aber im Umkehrschluss nichts anderes als: für eine People-to-Document-Strategie (Datenbank, Dokumentenmanagementusw.) eignen sich eher Standard-Inhalte: wenig komplex und mit einer langen Gültigkeitsdauer!
4.2.2 Wissenserfassung
Eine wesentliche Bedeutung im Rahmen des Wissensmanagements kommt der Wissenserfassung und - verarbeitung zu, siehe auch Wissensbilanz. Hier sind drei Komponenten von Bedeutung:
graphicgraphic
graphicgraphic
Wissenserfassung
  • Organisationsgedächtnis (engl. Organizational Memory): Das organisationaleGedächtnisist die Gesamtheit der Komponenten zur Wissenserfassung (Akquisition), Wissensaufbereitung (Maintenance) und Wissensnutzung (Search and Retrieval, siehe auch Recherche).[1]
  • Organizational Knowledge: Dieses umfasst das gegenwartsbezogene Wisseneiner Organisationund findet häufig in Knowledge-Datenbanken seinen Niederschlag.
  • Organizational Learning: Dieses befasst sich mit der Reproduktion des Organisationalen Wissens, z. B. durch Wikis.